Das Bild gerät in Bewegung, die Bewegung wird Klang und der Klang verliert sich im Bild. Max Wechsler
«Vom Fliegen auf allen Vieren. Zu Christoph Rütimann», in: Zürich 1987
 Klang  das Konzert
Ein erstes Mal führte Christoph Rütimann Das Konzert 1986 in Sempach auf, ein zweites Mal 1987 in Zürich. Als Ein-Mann- Orchester agierte er vor einem «Bühnenvorhang» aus hängenden Blechwänden und Stahlrohren, die wie Orgelpfeifen in die Höhe ragten. Vor ihm schwangen Pendel und drehten sich gelochte Blechscheiben. Das aufwendige Instrumentarium funktionierte nicht nur akustisch, sondern auch visuell. Der Klang sollte bereits übers Auge erzeugt werden. Rütimanns Idee war, ein ganzes Orchester als Bild zu bauen. Dieses vollendete sich jedoch erst, wenn es der Künstler zum Klingen brachte. Rütimann trat als Komponist, Dirigent und Ausführender zugleich auf. Er bediente das zentrale Schaltelement, versorgte die Pendelanlage mit Strom, jagte Pressluft durch die gelochten Sirenenscheiben und steuerte die Vibratoren auf den Stahlblechen. Von Hand führte er die Wasserstoffflammen in die Stahlröhren ein. Zu hören waren «Orgelklänge und Sirenengeheul, durchdrungen von differenziertem Gezirpe und moduliertem Rauschen».1 Den Grundrhythmus gab die Pendelanlage vor; sie war das Herzstück des Konzerts
Ein stehender Ton 1988/89 Furkapass Stahlrohr, 5 Verankerungen (Rohrschellen), Gasbrenner, Steuerungskiste mit Wasserstoffflaschen, Autobatterie, Zeitschaltung Stahlrohr 600 cm, Durchmesser 22 cm, Steuerungskiste 26 x 135 x 72 cm Besitz: Furk-Art, Alfred Richterich Stiftung (Videoinstallation)
Das Konzert 1986 Festhalle Sempach Zweitaufführung: Aula Rämibühl, im Rahmen der Ausstellung Stiller Nachmittag, Kunsthaus Zürich 6 Stahlbleche mit diversen Vibratoren, 15 Stahlrohre mit 13 Gasbrennern, 6 gelochte Sirenenscheiben mit Motoren und Pressluftdüsen, elektronische Pendelanlage mit 12 Pendeln, mehrere Steuerungselemente
DAS KONZERT
Bonjour Madame 1984 Kornschütte Luzern Stahlrohre, Gerüst mit 12 Pendeln mit integrierten elektromagnetischen Mikrofonen, 12 Kassettenrecorder (2 Typen), Holzschnitt und Ölfarbe auf Leinwand, Bedienungselement Leinwand 5 x 554 x 220 cm, Pendelanlage 118 x 80 x 620 cm
1 Max Wechsler, in: Vaterland 1986
2 Max Wechsler, in: Vaterland 1986
3 Christoph Schenker: «Christoph Rütimann», in: Zürich 1989, S. 30
Stück III Aus: Stücke für 12 Pendel 1989 Düsseldorf
Weitere Aufführungen: Stück I Freiburg i. Br. 1988 Stück II Bonn 1989 Stück IV Genf 1989 Stück V Zürich 1989 Stück VI Wuppertal 1990 Stück VII Heidelberg 1990 Stahlrohre, Gerüst mit 12 Pendeln mit integrierten elektromagnetischen Mikrofonen, 12 Kassettenrecorder (2 Typen), Bedienungselement Pendelanlage 118 x 80 x 620 cm
Ein weiteres Instrument des Konzerts kam 1988/89 einzeln zum Einsatz. In einer Felswand an der Furkapassstrasse installierte Rütimann ein sechs Meter langes senkrechtes Rohr mitsamt Gasbrenner und Steuerung. Alle zwölf Stunden wurde der Gasbrenner automatisch gezündet, die Wasserstoffflamme brachte die Luftsäule zum Schwingen, das Rohr blies einen tiefen stehenden Ton in die Bergwelt hinaus. Eine Viertelstunde währte er, bis die Flamme erlosch und die Röhre wieder verstummte: «Das Zwölfstundenintervall verschob sich täglich um zwei Klangviertelstunden, so dass sich der Abendklang allmählich in die Nacht hineinzog und der Morgenklang in den Tag vorrückte, bis am Ende des Unternehmens im September schliesslich ein Tageslauf erreicht war.»4

Max Wechsler, in: Vaterland 1988
© 2013 Christoph Rütimann
Christoph Rütimann
© 2013 Christoph Rütimann
Rütimann hatte sie bereits 1984 in der Kornschütte Luzern unter dem Titel Bonjour Madame eingeweiht. Die Besucher konnten damals die zwölf aneinandergekoppelten Pendel eigenhändig in Schwingung versetzen. Die gusseisernen Kugeln schwangen über einer auf den Boden gelegten Leinwand und zeichneten eine Sinus-Kurve in den aufgedruckten Goldrahmen: «Es war wie ein Streicheln jener imaginierten Madame, die so wohl nicht mehr gemalt werden konnte.»2 Das Bild wurde musikalisch untermalt mit einer «Hymne an eine Unbekannte», die aus der Tiefe der Leinwand erklang. Was das Bild zum Klingen brachte, waren elektromagnetische Mikrofone in den Kugeln. Sie reagierten auf die Magnetfelder der unter der Leinwand verborgenen Kassettengeräte und produzierten Rückkoppelungsgeräusche. Die Pendelanlage verrät, wie die anderen Instrumente auch, die Neugier und Experimentierlust des Künstlers auf der Suche nach neuen Klangerlebnissen. Nach dem Konzert trat Rütimann von 1988 bis 1989 mit der Pendelanlage in sieben Städten in der Schweiz und Deutschland auf. Er improvisierte vor Ort, wählte in jeder Stadt einen anderen Ablauf. So entstanden «Städtestücke». Um die Klänge zu verändern, standen dem Künstler verschiedene Interventionsmöglichkeiten zur Verfügung. Er führte Strom zu, schaltete die Kassettengeräte einzeln an oder wieder ab; er schob ein Gerät unter der ruhenden Kugel hin und her und veränderte so das Magnetfeld, was sich auf den Ton auswirkte; er liess die Pendel einzeln oder aneinandergekoppelt schwingen und wieder auslaufen, so dass das rhythmische Klopfen immer dichter wurde. Die Pendel heulten und zwitscherten. Stück III in Düsseldorf hat Christoph Schenker wie folgt beschrieben: «Plötzlich ein ohrenbetäubendes Rauschen, ein Gellen, Surren und Sirren. Ein polyphones Sirenengeräusch, von ‹Tropfen› rhythmisiert.»3
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